Schule lebensnah ausrichten
Es heißt, dass Schule auf das Leben vorbereiten soll. Was das heute bedeuten könnte, wird in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert: Die eigene Steuererklärung machen, Fake-News erkennen, den Klimawandel beurteilen können. Sicher sind das wichtige Ansatzpunkte. Doch letztlich handelt es sich um fachliche Themen, deren Bedeutsamkeit mit der Zeit vermutlich auch wieder abnehmen wird. Es fehlt aus meiner Sicht (und der vieler anderer) etwas Entscheidenderes, das uns unser gesamtes Leben lang begleitet: Die Persönlichkeit.
Dabei ist der Gedanke gar nicht so fern. Im Sächsischen Schulgesetz heißt es zu Beginn (§1, Abs. 3): „Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen.“ Selbstverständlich lernen alle Schülerinnen und Schüler durch die vielen sozialen Situationen in der Schule implizit etwas für ihre Persönlichkeit dazu. Die Schule könnte diesem Auftrag aber viel bewusster gerecht werden. Dafür hat der Schulleiter Ernst Fritz-Schubert (Heidelberg) 2007 das Schulfach „Glück“ entwickelt, in dem das Wohlbefinden und die Persönlichkeit der Lernenden gestärkt werden sollen. Neben Erkenntnissen aus der positiven Psychologie bedient sich das lösungs- und ressourcenorientierte Schulfach dabei erlebnis- und theaterpädagogischer Methoden. Bislang gibt es den Glücksunterricht an einigen Schulen in Baden-Württemberg, Hessen oder Berlin. In einigen Bundesländern findet er im Ergänzungsbereich, z.B. als AG (in Sachsen aktuell in Radebeul) statt.
Unterrichtsfach Persönlichkeitsentwicklung am DG – einmalig in Sachsen!
Daher habe ich auf Basis der Inhalte des Schulfaches Glück einen Lehrplan für die sächsische Oberstufe geschrieben und das Fach Persönlichkeitsentwicklung genannt. Der Lehrplan dieses fächerverbindenden Grundkurses wurde im November vom Landesschulamt genehmigt und so ist es nun möglich, das Fach ab nächstem Schuljahr (SJ 2022/23) erstmals in Sachsen als reguläres, in die Stundentafel der Oberstufe integriertes Unterrichtsfach zu erteilen. Unsere Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen können sich also bei ihrer Kurseinwahl überlegen, ob sie in der 11. und 12. Klasse auch den Grundkurs Persönlichkeitsentwicklung belegen wollen.
Inhalte und Ziele des Faches Persönlichkeitsentwicklung
Was lernen die künftigen Abiturienten in diesem Kurs? Anders als in fachwissenschaftlich ausgerichteten Unterrichtsfächern sind die Lernenden selbst der hauptsächliche Lerninhalt. Sie lernen also nicht vordergründig allgemein etwas über Stärken und Schwächen, Normen und Werte, Visionen und Ziele. Sondern: Sie lernen spezifisch etwas über ihre eigenen Stärken und Schwächen, welche Werte ihnen wichtig sind und welche Bedeutung das für die Sinnfindung hat, wie sie persönlich ganzheitliche Entscheidungen treffen können, sie erfahren mehr über Vertrauen und Verantwortung für andere und sich selbst, welche Strategien ihnen helfen, selbst gewählte Ziele zu planen und zu verwirklichen und wie sie ihr Handeln bzw. die eigene Geschichte so reflektieren, dass ihnen auch Misserfolge zum Gewinn werden.
Kurzum: Der Kurs baut vor allem auf Selbsterfahrung der Inhalte, die in dem Fach unterrichtet werden, auf. Natürlich geht es auch um die Vermittlung wichtiger psychologischer Themen: Emotionen, Bedürfnisse, Tugenden, Antreiber, Lebensmotive, Entscheidungskriterien, Zielformulierungen, Planungsstrategien, Gruppendynamik, Prokrastination, Konfliktdynamiken, Wertigkeit von Zeit, kompetentes Scheitern, gesunde Zielerreichung und Reflexionstheorien.
Das Hauptlernziel des Faches ist psychologisches Wohlbefinden. Das ist mit der Erfahrung verbunden, sich selbst als konsistent, kohärent und kompetent zu erleben. Vereinfachter ausgedrückt können die Schülerinnen und Schüler am Ende auf folgende essentielle Fragen eigene Antworten geben:
- Was brauche ich? (Emotionen, Bedürfnisse)
- Woher komme ich? (die eigene Geschichte reflektieren)
- Wohin will ich? (Ziele, Visionen)
- Was kann ich? (Kompetenzen, Fähigkeiten)
Dennoch: Das Schulfach ist kein Garant für ewiges Glücksempfinden. Das gibt es nicht. Aber die Schülerinnen und Schüler haben in den zwei Jahren mögliche Wege kennengelernt, um ihr Wohlbefinden aktiv zu erhöhen. Sie wissen, wie sie vom Erdulder zum Gestalter werden können. Das ist ein entscheidender erster Schritt für mehr subjektives Wohlbefinden und Lebensfreude.
Wir wollen unsere Schülerinnen und Schüler in ihrer Individualität anerkennen und schätzen!
Letztlich bietet der Kurs einen Raum an, in dem sich die Schülerinnen und Schüler selbst kennen lernen und über sich hinauswachsen können. Vielleicht entdecken einige ganz neue Stärken an sich und können diese vor der Gruppe artikulieren. Vielleicht lernt eine vermeintlich starke Person, offen über eine Schwäche zu sprechen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Vielleicht traut sich ein zögerlicher Mensch, mutig Entscheidungen zu treffen. Vielleicht findet jemand, dem der Sinn an vielen Stellen fehlte, etwas, wofür er bzw. sie brennt. Innerhalb dieses Prozesses kehren Menschen etwas von ihrem Inneren nach Außen. Ich denke, dass dieser Mut eine gute Vorbereitung auf das Leben ist. Mich persönlich motiviert die Vorstellung in jedem Fall sehr, dass die späteren Abiturienten mit Selbstbewusstsein (was ja nichts anderes bedeutet als: sich seiner selbst bewusst sein) und Visionen aus dem Unterricht hinausgehen und wissen, wie sie ihre Vorstellungen in der Welt umsetzen können. Ich möchte versuchen, diesen Anfang in Schule bewusst zu gestalten und bin gespannt, wie die Schülerinnen und Schüler diesen Möglichkeitsraum für sich nutzen werden. Denn letztlich ist das Ganze vor allem eins: ein Angebot.
Dein Interesse ist geweckt? Hier kannst du dir den Lehrplan herunterladen und dich noch genauer informieren:
Verfasser: Herr Kreisig